Buenos Aires ist der ideale Ausgangspunkt, den Weg ins Eis anzutreten. An Bord von MS Hamburg führt er über Montevideo in gebührendem Abstand entlang des Argentinischen Festlandes, über die Falklandinseln und erstmals im Dezember 2019 über Südgeorgien, auf die Antarktische Halbinsel, auf den sechsten Kontinent – dem letzten großen intakten Ökosystem unserer Erde!
330 Gäste aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind beseelt von einem Lebenstraum: Einmal per Schiff in die größte Wildnis der Erde, die Antarktis. Sich zu fühlen wie ein Entdecker. Aber auch die Seelöwen, Seeleoparden, Robben und die putzigen Frackträger – die Pinguine, einmal nicht im heimischen Zoo, sondern in ihrem Jahrmillionen alten Lebensraum zu beobachten. Früher war es einzig Entdeckern und Wissenschaftlern vorbehalten, in die gefrorenen Gefilde der Antarktis vorzudringen – der kältesten, ödesten, windigsten und abgelegensten Region unseres Planeten. Ohne all zu große Strapazen auf sich zu nehmen, wird dieses Privileg heute auch dem gemeinen Kreuzfahrer zu teil. Schließlich haben moderne Expeditionsschiffe, wie MS Hamburg, eine Eisklasse, die es ihnen erlaubt, im arktischen Sommer, von Oktober bis März, wenn die südlichen Meere mehr oder minder eisfrei sind, den Entdecker-Genen freien Lauf zu gewähren. Und obendrein noch zwei Stabilisatoren mit drei Metern Länge, sollte Poseidon schlecht drauf sein – was relativ häufig der Fall ist, wenn es durch die gefürchteten Roaring Forties, Furious Fifties und Screaming Sixties geht (teilweise orkanartige Wind- und Wasserbewegungen zwischen dem 40zigsten und 60zigsten Breitengrad).
Atemberaubende Aussicht
„Steuerbord voraus, Eisberg in Sicht!“ Kreuzfahrtdirektor Peter Schulze Isfort waltet seines Amtes. Die Restaurants leeren sich schlagartig, die Bord- Bibliothek gleicht im Null-Koma-Nichts einer Unibibliothek um Mitternacht – alle Passagiere schwärmen auf das Panoramadeck und sichten ihren ersten riesigen Tafeleisberg im XXL-Format. Hoch wie ein sechsstöckiges Haus und breit wie zwei Fußballfelder. Beim Anblick dieses blau schimmernden Giganten würden passionierte Eiskletterer reihenweise in Ohnmacht fallen. Größere und kleinere Torbögen wechseln sich mit glatten, senkrechten Wänden ab. Oben ist er total flach. Ein erster Vorbote der noch gut 350 Kilometer entfernten Süd-Shetland-Inseln und der Südspitze der Antarktischen Halbinsel.
Der sechste Kontinent, die Antarktis, ist mit 14 Millionen Quadratkilometern etwa 40 Mal so groß wie Deutschland und hat als einziger Erdteil keine Urbevölkerung. Wer heute auf dieser großen, fast fünf Kilometer dicken Platte aus Eis und Schnee auf felsigem Untergrund lebt, tut das im Dienst der Wissenschaft. Rund 40 der zahlreichen Forschungsstationen sind ganzjährig besetzt. Würde das antarktische Eis schmelzen, könnte man von Köln oder Düsseldorf aus die Weltmeere auf einem Kreuzfahrtschiff befahren, denn der Wasserstand würde um mehr als 60 Meter steigen. Immerhin sind hier zwei Drittel des weltweiten Wasservorkommens gespeichert.
Tierische Gefährten und Naturspektakel
„Blas voraus!“ trompetet Kreuzfahrtdirektor Peter Schulze Isfort durch die Bordlautsprecher. Alle Mann an Deck. Die Hamburg nimmt Fuß vom Gas, gleitet lautlos durch den Beagle-Kanal, kommt zum Stillstand. Zwei Buckelwale sind gekommen – um zu spielen: Katz und Maus mit dem Kapitän und den Schaulustigen mit ihren „Canonrohren“ an den Kameras. Mal steigt die Blasfontäne im Doppelpack vor dem Bug Steuerbord, plötzlich Backbord und schließlich hinterm Heck aus dem Wasser. Wie bei den Fischerchören klingt’s, aaahhhhh, jjjaaaaahhhh, wenn die tonnenschweren Säuger zum Luftholen an die Oberfläche kommen und mit ihrer Fluke elegant zum Abschied noch einmal winken und dann abtauchen. Vor der nächsten Showeinlage muss aber erst einmal Futter gefasst werden. Schließlich ist das auch der einzige Grund, warum die Wale die äquatorialen, wärmeren Gewässer nach der Geburt ihres Nachwuchses verlassen haben. Im Südmeer gibt es Unmengen von Krill, Leibspeise der Wale.
Wie auf Daunenfedern gebettet durchzieht die Hamburg die Antarktische Konvergenz und nimmt stetig Kurs auf den weißen Kontinent. Im Schlepptau Dutzende Wanderalbatrosse mit Spannweiten von 3,5 Metern, die zur kostenlosen Flugshow einladen. Ohne einen einzigen Flügelschlag sausen sie einer Drohne gleich durch die Lüfte, indem sie sich die Aufwinde der Wellenkämme zu Nutzen machen. Lässt die Fluggeschwindigkeit nach, lassen sie sich vom Wind in die Höhe tragen, um neuen Schwung zu holen.
Wissenschaftler bezeichnen das schmale Band um den 55. Breitengrad als Antarktische Konvergenz. Hier treffen die relativ warmen Wassermassen auf die -2 bis +2 Grad kalten aus dem Süden. Seine größte Ausdehnung erreicht Wasser bei 4 Grad. Ist es kälter sinkt es ab. Das kalte Wasser aus der Antarktis strömt demzufolge in tieferen Wasserschichten nach Norden. Es wird vom wärmeren Wasser aus dem Norden ersetzt, kühlt, sinkt ab und strömt nordwärts. Ein perfektes „Perpetuum mobile“, ein ewiger Kreislauf. Vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund sind Windstärke 10 und hoher Wellengang zu erwarten – doch, Fehlanzeige. Bekanntlich hat ja jede Theorie die Farbe Grau. Wer noch behauptet, dass Fliegen die schönste Art des Reisens ist, wird durch eine Fahrt mit MS Hamburg eines Besseren belehrt. Die „Kotztüten“, die die Geländer zu den unteren Decks im Ein-Meter-Abstand schmücken – reine Makulatur. Um die fünf Grad. Die Sonne scheint, Sonnenschutz 50 Programm, die Liegestühle sind gut besucht.
MS Hamburg erreicht die Südshetland Inseln auf der Bransfieldstraße, lässt Elefant Island, und die Inseln Nelson, Robert und Greenwich rechts liegen. Sie sind vulkanischen Ursprungs. Ihre Bergflanken sind ganzjährig mit Schnee- und Eisfeldern bedeckt. Riesige Gletscherströme enden mit schroffen Eiswänden im Meer. Im Winter sind die Inseln von Meereis eingeschlossen, das erst im Frühjahr wieder aufbricht. Bis in den Sommer treiben ausgedehnte Schollenfelder umher, die gemeinsam mit Eisbergen die Fahrt durch die engen Fjorde behindern können.
Nur gucken, nicht anfassen!
„Um 8 Uhr Ausbootung der ersten Gruppe“ lautet die Ansage des Kreuzfahrtdirektors. Vor Half Moon Island surrt der Anker in die Tiefe. Schwimmweste anlegen, rein in die Gummistiefel und noch eben schnell durch ein Desinfektionsbad waten. Alsdann bringen die erfahrenen Bootsführer des Expeditionsteams in ihren wendigen Spezialschlauchbooten, den Zodiacs, die eingemummten Passagiere in „Stoßtrupps“ à sechzehn Mann, hinüber zur Insel. Dort hat bereits das neugierige vierköpfige Empfangskomitee neben einem uralten, verrotteten norwegischen Walfängerboot Stellung bezogen. Es heißt die seltsamen Fremden, mit einem kurzen aber kräftigen Geschnatter willkommen. Die schwarz befrackten Zügelpinguine zeigen keine Scheu. Sie haben ihrer Pflicht genüge getan, drehen sich um und watscheln auf dem Pinguin-Highway, teils unter Einsatz ihres Schnabels als Eispickel, zurück zu ihrer Kolonie. Auch die Scuas (Raubmöwen) sind sichtlich erfreut über den Besuch der Riesenpinguine von den Kreuzfahrtschiffen, sind sie doch die ideale Ablenkung für das brütende Pinguin Weibchen oder Männchen. Kurz den Oberkörper in die Luft gestreckt und schon schnappt sich eine Scua ein Pinguin-Ei oder den bepflaumten hilflosen Nachwuchs. Verdrückt sich der Pinguin ins Wasser auf Nahrungssuche, ist er vor feindlichen Angriffen aus der Luft oder aus dem Meer durch seinen Tarnkappen-Badeanzug relativ gut geschützt. Von oben lässt sich der schwarze Frack schwerlich von der Meeresoberfläche unterscheiden und sein weißer Bauch schaut von unten wie der Himmel aus.
Der antarktische Verhaltenskodex schreibt den Besuchern vor, wenigstens fünf Meter Abstand zu den Pinguinen zu halten, ihre Straßen nicht zu betreten und den Pinguinen generell „Vorfahrt“ zu gewähren. Auch sollte nicht auf Flechten und Moose getreten werden. Die erholen sich von einem Fußabdruck auch nach 100 Jahren noch nicht!
Zum Dahinschmelzen
MS Hamburg nimmt Kurs auf eine der „Top Five“ Touristenattraktionen in der Antarktis, ohne nicht vorher noch durch den extrem schmalen Durchgang Neptuns Blasebalg in die Caldera von Deception Island einzufahren, neben Santorini in der Ägäis, eine der größten und imponierendsten Kraterinseln der Erde: Cuverville Island. Dort erwartet den weitgereisten Gast eine einmalige Performance. Aus der nahe gelegenen Gerlachstraße driften Eisberge heran, die nur der Strömung und dem Wind gehorchen und – gehen prompt in die Falle. Von den Wellen auf und nieder bewegt, drücken sie zuerst ihre Unterseiten in den Grund und schrammen dann noch weiter auf die Küste zu, bis sie endlich ihre letzte Ruhestätte finden. Gestrandet, einer nach dem anderen, liegen sie zusammen da wie auf einem Friedhof – langsam schmelzende Grabsteine. Neben dem Eisberg-Friedhof ist noch eine Kolonie von 10.000 Eselspinguinen auf Cuverville Island zu bestaunen.
Rückkehr aus dem Paradies
Bevor MS Hamburg durch den s-förmigen Neumayer Kanal driftet, darf eine 45 minütige Zodiacfahrt durch die Paradise Bay samt Anlandung auf der größten Eistorte der Welt, dem Kontinent Antarctica, unweit der Argentinischen Forschungsstation Almirante Brown – von hier sind es nur noch schlappe 2.700 Kilometer bis zum Südpol – und der Besuch von Port Lockroy auf Wiencke Island mit seiner britischen Base A oder auch Bransfield House genannt nicht fehlen. Hier können das kleine Museum besichtigt und im angeschlossenen südlichsten „Kaufhaus der Welt“, einem kleinen Souvenirshop mit südlichstem Postamt der Welt, kräftig antarktische Devotionalien gekauft werden. Ende der arktischen Sommersaison kann es schon mal vorkommen, dass die hier aufgegebene Post von der fleißigen Postbeamtin des Britischen Königreichs bis zu ihrem nächsten Dienstantritt ein halbes Jahr liegen bleibt.
Die Passage durch die zwei bis vier Kilometer breite und 30 Kilometer lange Seestraße führt durch eine der schönsten Landschaften der Antarktischen Halbinsel. Steile, bis zu 1.000 Meter hohe Bergflanken, weite Gletscherfelder, Eisabbrüche und zig Eisschollen gleiten ganz nahe am Schiff vorbei. Man könnte heulen vor Glück.
Ist der Neumayer Kanal geschafft, ist eigentlich der Lemairekanal ein Must. Er gehört zu den wohl spektakulärsten Schiffspassagen unserer Erde. Doch Eisberge und Eisschollen haben an seinem schmalen Ende eine unüberwindbare Barriere geschaffen und eine Durchfahrt unmöglich gemacht.
Etwas unverhofft muss MS Hamburg die Rückfahrt aus dem Paradies antreten. Den Kreuzfahrern wird die Fahrt durch die gefürchtete Drake Passage in Richtung Kap Hoorn (hier küssen sich Pazifik und Atlantik) nicht als ein Höllenritt in Erinnerung bleiben. Extrem ruhig ist die Überfahrt. Wenn man von Ushuaia auf Feuerland, der südlichsten Stadt der Welt, wieder in seiner Heimat angekommen ist, hat die Bedrohung dieses Paradieses durch Klimawandel und Erderwärmung eine andere Dimension.
Verfasst von unserem Gast-Autor, Frank Heinzl.
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