Ich kann nicht schlafen. Morgen geht es auf große Reise; ich habe eine lange Fahrt vor mir, aber ich kriege kein Auge zu. Und je mehr ich es versuche, desto mehr scheitere ich.

Wochenlang habe ich über Landkarten gehangen und Routen studiert; möchte durch Österreich, Italien und die Schweiz fahren und jetzt geht es endlich los. Einmal im Jahr begebe ich mich auf Solotour, fahre alleine mit dem Cabrio über die schönsten Passstraßen der Alpen und gehe wandern. Da in meinem Umfeld keiner diese Interessen mit mir teilt, ich aber darauf nicht verzichten will, fahre ich halt alleine. Also Jungs und Mädels da draußen, die vielleicht in einer ähnlichen Situation stecken – traut euch, keine faulen Ausreden, verwirklicht eure Träume auch wenn kein anderer diese mit euch teilt. Wie Charles Bukowski, ein bekannter Schriftsteller, einmal sagte: „Get your lazy ass up!“

Erster Akt. Nach einer unruhigen Nacht aber entspannten Fahrt, bin ich angekommen, sitze in meinem Hotelchen in St. Johann in Tirol.

Meine Recherchen hatten ergeben, dass es hier in den Kitzbüheler Alpen eine tolle Gratwanderung geben soll. Es kribbelt in meinen Fingern. Doch es gibt ein Problem. Es regnet wie Sau und die Sicht, nun ja, welche Sicht??! Da ich aber ein ausgesprochener Sturkopf bin und zudem nur einen Tag hier, beschließe ich, die Wanderung trotzdem zu machen. Es hätte mich eigentlich schon misstrauisch machen sollen, dass ich der einzige Fahrgast in der Seilbahn bin und auch die Kassiererin mich seltsam mustert. Egal, was ich mir in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich durch.

Und nun stehe ich hier, mitten auf dem Berg – mehr oder weniger orientierungslos, denn ich kann gerade die Hand vor Augen sehen und das ist auch schon so gut wie alles. Ich stehe auf einem Grat und weiß es eigentlich nicht einmal. Und obwohl ich schon fast bis auf die Unterhose nass bin und meine Füße mittlerweile ein quietschendes Geräusch von sich geben und sich anfühlen als hätte ich Schwimmhäute, genieße ich die frische Luft, die Natur und die Einsamkeit; vor mir huschen schwarze Salamander ins Dickicht – wie war das noch: „The mountains are calling and I must go!“

Szenenwechsel. Die Sonne scheint, ich „werfe“ das Cabrioverdeck nach hinten und fahre offen und fröhlich meinem nächsten Ziel entgegen, den Dolomiten. Hach, wie ich sie liebe …

Bei der Planung der Reise habe ich darauf geachtet, dass der Weg auch das Ziel ist und ich versuche soweit es geht, Autobahnen zu meiden. Durch das wunderschöne Defereggental und über den Staller Sattel, der Italien von Österreich trennt, fahre ich nach Südtirol.

Nächster Akt. Mein Herz rast und ich merke, wie mir die Schweißperlen den Rücken runter laufen. Ich befinde mich im Fischleinbodental in der Nähe von Sexten, will von hier aus zur Zsigmondy-Comici-Hütte laufen, laut Plan ca. 5 Stunden.

Seit fast drei Stunden laufe ich nur bergauf, steil, über Stock und Stein. Die Gedanken spielen verrückt und ich frage mich, warum tue ich mir das an. Ja warum eigentlich? Es ist der Ruf der Berge, die unglaubliche Schönheit der Natur und mein Wille, mich auch zu Fuß einmal vorwärts zu bewegen – es befreit Körper und Geist.

Jetzt allerdings würde ich am liebsten umkehren aber hinschmeißen ist keine Option für mich. Trotzdem wünsche ich mir nichts sehnlicher als endlich die Hütte zu erreichen; als es dann tatsächlich soweit ist, kommen mir die Tränen. Geschafft, ich habe meinem „Schweinehund“ ein Schnippchen geschlagen und das will mit einem deftigen Kaiserschmarrn und Radler belohnt werden.

Schien im Tal noch die Sonne, ist es hier auf einmal recht düster und sehr kalt und zu meiner Überraschung, fängt es an zu schneien – und das im Juli. Gut, dass ich noch ein paar „Pellen“ und einen Flachmann dabei habe, um mich zu „wärmen“.

Apropos, die Schönheit der Natur genießen. Ich sitze im Cabrio, trällere vor mich hin und fahre über die schönsten Pässe der Dolomiten. Dramatische Felsformationen und Kurven, wohin das Auge reicht, mein Auto und ich lieben diese Kulisse. Jedes Mal, wenn ein Schild „tornante“ (Kurve) kommt, hüpft mein Herz.

Heute steht eine Wanderung im „Freilichtmuseum“ Cinque Torri auf dem Programm. Falls ihr es noch nicht wisst, vor fast genau 100 Jahren, hatten die Menschen hier „andere Sorgen“ als die Schönheit der Natur aufzusaugen, denn es herrschte Krieg und die Dolomitenfront verlief genau hier.

Ich stehe inmitten der Cinque Torri, laufe durch alte Schützengraben und Stellungen, sehe Einschusslöcher und verrosteten Stacheldraht und kann nicht begreifen, was damals hier geschehen sein muss. Mein Herz verkrampft und ich wünsche mir, dass die Menschen aus der Vergangenheit einmal lernen würden.

Interessanterweise halten heute die italienischen Streitkräfte eine Übung hier ab. Anstatt Maschinengewehrsalven, höre ich munteres Geplauder und als auf einmal eine Schlange meinen Weg versperrt, beobachten ein Tourist aus den USA, ein Armeeangehöriger und ich sie gemeinsam – so geht Völkerverständigung!

Spuren des Krieges findet man hier in dieser Gegend überall und ich beschließe einen alten Kriegsgräberfriedhof zu besuchen und eine kleine Spende zu hinterlassen damit die Opfer nicht vergessen werden.

Szenenwechsel. Die Tage in Südtirol sind vorbei, schade und ich stehe im Stau auf der Brennerautobahn. Mein Ziel ist der Lago di Ledro, ein kleines Seechen, das westlich des bekannten Gardasees liegt.

Gott sei Dank habe ich vor dem Stau noch eine Tankstelle und Toilette aufgesucht, so dass ich wenigstens nicht in Panik verfalle, denn es tut sich hier nichts, nada.

Kurzerhand beschließe ich, meine Route zu ändern und nehme die nächste Ausfahrt. Ich wollte sowieso nur ein keines Stückchen hier auf der Autobahn fahren und weiter über Land.  Leider bin ich nicht die Einzige, die auf diesen Gedanken gekommen ist und ich stehe wieder im Stau, diesmal in der Ausfahrt und das fast eine ¾ Stunde. Meine Laune sinkt, es ist brütend heiß und ich bin einfach nur genervt.

Als ich die Maut bezahle, sind wie von Geisterhand die Autos verschwunden und ich fahre auf der menschenleeren Weinstraße meinem Ziel entgegen. Passiere dabei den wunderschönen Lago di Molveno und Örtchen, deren Namen ich noch nie gehört habe. Als Höhepunkt komme ich auf dem letzten Stück von oben auf den Garadsee zu und schlängele mich die Kurven hinunter, meine Blicke bleiben an den prachtvollen Oleanderblüten hängen – ich bin versöhnt. Ich bin auf gut Glück diese Route gefahren und hatte irgendwie den richtigen Riecher. Vom Gardasee bis zum Ledrosee ist es nur noch ein Katzensprung.

Dolce far niente. Erst einmal ausruhen und das Leben genießen.

Nächster Akt. Zu Hause hatte ich mir eine Rundtour ausgearbeitet, die mich über die Berge nach Tremosine am Gardasee und weiter nach Limone am Gardasee führt.

Ich kenne den Gardasee recht gut, habe ich doch schon als Kleinkind mit meiner Familie hier Urlaub gemacht. Obwohl leider auch andere Leute den Gardasee als ihr Urlaubsziel zu schätzen wissen und es meist recht voll ist, liebe ich ihn trotzdem, denn er hat auf mich eine bezaubernde Wirkung. Es ist das Zusammenspiel der Berge mit dem wunderbaren Blau des Sees und den prachtvollen Palmen und Blumen – der Gardasee ist einer der schönsten Seen, die ich kenne.

Ich schlängele mich wieder die Berge hinauf, mein Ziel ist die „Schauderterrasse“ in Tremosine. Hoch über dem See thront beim Hotel Paradiso ein Balkon mit einem Blick, der einen „erschaudern“ lässt – schwindelfrei sollte man sein. Ich bin es und werfe mehrere Blicke, meine Sonnenbrille und Hut festhaltend, nach unten. Danach gönne ich mir einen Cappuccino.

Es geht wieder die Berge hinunter, langsam bekomme ich einen Drehwurm und stelle mir die Frage ob man sich selbst in eine Kurve verwandeln kann…

Limone überrascht mich – es ist voll aber ich habe gelernt, den Menschenmassen entfliehen zu können. Überall finde ich ruhige Gässchen und Plätzchen, schaue in jeden Winkel und bin fasziniert von der Blütenpracht, die hier herrscht und meine Kamera macht klick, klick, klick …

Szenenwechsel. Verdammt noch eins, ich habe doch tatsächlich vergessen, meine Route zum nächsten Ziel so zu planen, dass mich der Weg wieder durch die Berge führt.

Es ist zu spät, das Navi hat mich auf die Autobahn Richtung Breschia geleitet. Ich fange an zu husten und Schnappatmung zu kriegen. Es ist brutal heiß, ich fahre offen und komme gefühlt alle 100 Meter durch einen schlecht belüfteten Tunnel. Vorbei rauschen die LKWs und ich habe das Gefühl, langsam auszusehen, wie ein Schornsteinfeger, so dreckig erscheint mir die Luft. Als ich den Iseosee passiere, wird es besser und ich stoppe an einer Tankstelle, brauche dringend einen Espresso und eine Pause.

Der weitere Weg führt mich wieder durch eine wundervolle Landschaft im touristisch unbekannten Italien.

Nächster Akt. Es ist Morgen und ich befinde mich in Tresivio, in einem unglaublich süßen Agriturismo inmitten der Weinberge. Ich bin der einzige Gast und mir wird von der Hausherrin ein wunderbares Frühstück gezaubert. Köstlich duftend steht die Original Espresso Kanne auf dem Herd und ich habe das Glück, draußen im Garten speisen zu können. Kann es einem besser gehen? Nein!

Von hier aus mache ich einen Ausflug in die Schweiz, wohl wissend, dass ich mich penibel an die Verkehrsregeln halten muss und nicht einen Kilometer zu schnell fahre. Wie war das noch: „ Dieser Moment, in der Schweiz geblitzt zu werden – unbezahlbar“.

Ich fahre gerade über den Berninapass, ein schöner Pass aber irgendwie etwas unspektakulär – ich glaube, ich bin verwöhnt.

Ich stoppe an einer Seilbahn, denn ich will wieder wandern, muss mich bewegen, habe Hummeln im Hintern. Die Bahn bringt mich auf den Diavolezza; ich steige aus und vor mir breitet sich das gesamte Gletschermassiv aus, eine weiße Pracht ergießt sich vor meinen Augen – wow, ich bin beeindruckt.

Stehen hier noch ein, zwei Leute, bin ich hundert Meter weiter ganz alleine und wandere einen steinigen Hang hinauf auf den Sass Queder. Oben angekommen, stehe ich im Schnee und genieße einen phantastischen Rundumblick – diese Stille, auch unbezahlbar.

Lago die Como – kein Wunder, dass es George Clooney hier gefällt, handelt es sich doch um ein wunderbares Fleckchen Erde. Meinen Eltern zufolge bin ich schon einmal hier gewesen, merkwürdig, ich kann mich nicht erinnern und habe daher beschlossen, meine nicht vorhandenen Erinnerungen aufzufrischen.

Ich sitze einen Eiskaffee mit Schuss schlürfend in einem kleinen Café und schaue auf die bunten Häuser Varennas am Ufer des Lago di Como und lasse Gott einen guten Mann sein. Hach, ist das herrlich hier …

Als ich mich irgendwann bequeme aufzustehen, führt mein Weg mich zum Castello di Vezio, welches hoch über dem See thront. Man kommt hier anscheinend auch mit dem Auto hin, ich aber habe beschlossen, zu Fuß zu gehen, was ich kurze Zeit später bereue. Der Anstieg ist verdammt anstrengend, mein Kopf glüht und ich gerate schnell aus der Puste. Zudem habe ich mich auch noch verlaufen – das aber ist nicht tragisch, denn ich stehe auf einmal auf einem bezaubernden, alten Bergfriedhof mit einem phantastischen Blick über den See. Sollte ich einmal sterben – ok, das „sollte“ kann man wohl streichen, dann möchte ich hier begraben werden…

Das Castello entschädigt mich für den anstrengenden Aufstieg, es war wie Mühe wert, denn auch von hier bieten sich herrliche Ausblicke über den See. Jeden Winkel muss ich fotografieren.

Szenenwechsel. Es geht wieder Richtung Norden, Ziel ist, St. Anton am Arlberg in Österreich. Und wie immer habe ich mir eine spektakuläre Route überlegt, die mich über den Passo di Stelvio führt. Der ist alles andere als unspektakulär und setzt fahrerisches Können voraus. Kurve um Kurve fahre ich erst hinauf um dann auf der anderen Seite Kurve um Kurve wieder hinunterzufahren, das Lenkrad fest in den Händen haltend. Wow, ich muss schon sagen, der Pass hat es in sich. Wundersamerweise sind hier auch einige Radfahrer unterwegs, es muss sich um Aliens handeln anders kann ich mir nicht erklären, wie man es schafft, mit dem Rad hier raufzukommen.

Vorbei geht’s am Rechensee im schönen Vinschgau; leider regnet es und ich muss das Verdeck schließen. Ich mache ich einen Abstecher ins Samnaun, ein zollfreies Gebiet, habe ich doch meinem Papa versprochen, ein Schweizer Messerli mitzubringen.

Als ich spät nachmittags in St. Anton ankomme, bin ich platt.

Nächster Akt. Zuerst hatte ich überlegt, heute im Hotel zu bleiben aber irgendwie bin ich da kein Typ für, ich muss raus, raus an die frische Luft.

Ich hatte mich im Vorfeld für eine Tour zur Leutkicher Hütte entschieden. Eigentlich tun mir die Knochen weh aber ich habe das Gefühl, was zu verpassen, wenn ich die Wanderung nicht mache.

Mein Gefühl hat mich nicht getrogen, ich laufe stundenlang durch menschenleeres, teilweise unwirklich wirkendes Gelände. Auf einmal sehe ich von weitem eine große Felsspalte, die mit Schnee bedeckt ist und denke mir, ach herrje, wie komme ich denn da rüber?! Langsamen Schrittes nähere ich mich diesem eisigen Hindernis, das Fragezeichen in meinem Gesicht kann man bestimmt deutlich sehen – ich wollte heute eigentlich nicht als Ötzi enden …

Als ich Auge in Auge mit dem Hindernis bin, sehe ich doch, dass eine gute Seele eine Art Treppe in die Eismasse geschlagen hat und ich komme ohne Blessuren auf die andere Seite.

Auf der Leutkircher Hütte, die nur per Helikopter versorgt werden kann, gönne ich mir einen starken Kaffee. Man fragt mich ob ich alleine unterwegs sei? Ist das so ungewöhnlich? Scheinbar schon…

 

Die letzte Etappe dieser Reise führ mich in meine Hausberge, die Allgäuer Alpen – ich kann nicht ohne sie.

Vorbei geht’s bei wunderschönem Wetter durch den Bregenzerwald und über den Riedbergpass nach Fischen im Allgäu. Das letzte Mal genieße ich die Kurven der Pässe.

Zu meinem Leidwesen haben die Sommerferien begonnen und ich habe das Gefühl, dass alle Welt in die Berge stromert – anscheinend gibt es noch mehr Menschen als mich, die die Berge mögen, so was aber auch.

An der Nebelhornbahn stehe ich auf Hin – und Rückweg 1,5 Stunden in einer Menschenschlange, was mir irgendwie die Laune verhagelt. Ich bin zurück in der Zivilisation, schade.

Diese Tatsache hilft mir ein wenig über den Abschiedsschmerz hinweg, der mich überkommt. Die Tage habe ich folgenden Spruch gelesen: „Jede Reise hat ein Ende – aber die Erinnerung daran ist unvergänglich“ …  Ich stimme zu und bin gedanklich schon bei der Planung der nächsten Reise … ihr auch?!